Kapelle auf dem Friedhof in Thanheim
Es ist Sonntag, der 14. Oktober 2OO7 und in Thanheim ein Festtag. Die Gemeinde Bisingen veranstaltet im Thanheimer Friedhof einen Festakt zum Abschluss der Restauration der dortigen Kapelle.
Wie kommt die Gemeinde Bisingen bzw. die frühere Gemeinde Thanheim zu der ungewöhnlichen Aufgabe? Wir gehen in das Jahr 1897 zurück. Da fragte Pfarrer Caspar Leibold, nachdem er 1O Jahre in Thanheim war, die, wie er sie nannte, bürgerliche Gemeinde, ob er in ihrem Friedhof eine Kapelle erbauen lassen und sie dann der Gemeinde zum Erhalt übereignen dürfe. Er durfte es, und ob dem Juwel, das der Pfarrer danach errichten ließ, brauchte die Gemeinde ihre Zustimmung nicht zu bereuen.
Sie ist zwar klein wie eine Kapelle, bekam aber manche Eigenheiten einer richtigen Kirche. Dazu ließ sie der Pfarrer auf das reichste ausschmücken. Es war ihm nur das Kostbarste und Schönste recht. Beispiele dafür sind: Die Eindeckung des Daches mit den damals ganz neu herausgekommenen Schmuckziegeln von Ludowici, den Schuppenfalzziegeln für die Flächendeckung und den Sonderformen für andere Zwecke wie den Gratanfängern mit dem zurückgeschlagenen Akanthusblatt, den so genannten Glocken zur Überdeckung der Spitzen der dreieckigen Dachformen über der Apsis und auf dem Türmchen, den verschiedengestaltigen Spitzen darauf usw.
Richtige Kirchenfenster aus Tischkristallglas, wie uns die Glasmalermeisterin Antje Wutz erklärte, die wir wegen einiger Schäden an den Fenstern brauchten. Darin eingelegt ein Schmuckband aus bunten Gläsern, auf die, wie sie auch erklärte, mit Schwarzlot für die Konturen und Schattierungen Blumen und Blätter gemalt sind. Innen, wie es bei Kirchen ist, in einem um 2 Stufen höheren Chor ein richtiger Altar in neugotischer Machart mit dreiteiligem rückseitigen Aufbau, Retabel geheißen, mit Figuren von Heiligen, die der Pfarrer wohl in Seelsorge noch über seinen Tod hinaus seinen Pfarrkindern zum Gebet an sie vorstellen wollte, in der Mitte Maria mit ihrem vom Kreuz abgenommenen Sohn auf dem Schoß, Pieta genannt, links die heilige Barbara, erkennbar an dem Turm, und rechts der Heilige Laurentius, dargestellt mit dem Rost, auf den er über einem Feuer zum Verbrennen gefesselt war.
Ein Meisterwerk der Schreinerkunst und Malerei ist die dreiteilige Kassettendecke. Sie ist nicht nur als einfache, flache Decke gemacht, auf die der blaue Himmel und weiße Wölkchen hätten gemalt werden können. Diesen natürlichen Himmel müssen wir uns weg denken, und darüber ist uns dadurch aufgemacht der himmlische Himmel, die Wohnung Gottes, der Himmel, in den wir nach unserem Tod kommen wollen, gemacht aus 2 seitlichen, schräg nach oben in den Dachraum hinein gehenden Wänden und oben dazwischen einer flachen Decke, ausgemalt mit Gold, wie es die Gotik beim überirdischen Himmel tat.
Zurück behalten vom weggedachten natürlichen Himmel blieben nur die Sterne, die unter das goldene Himmelszelt gemalt sind. Im Mittelgang der Kapelle ist das Grab von Pfarrer Caspar Leibold. Es ist abgedeckt mit einer großen Sandsteinplatte, die selbstverständlich bei der Restauration erhalten wurde. Ein Grund dafür, dass er die Kapelle in einem Friedhof fast überraschend prachtvoll gestalten ließ, könnte seine Dankbarkeit dafür sein, dass er nach einem 1O-jährigen Verbot infolge des damaligen so genannten Kulturkampfes, weswegen er in die Schweiz ausweichen musste, schließlich doch noch eine Pfarrerstelle in seiner hohenzollerischen Heimat bekam.
Erhebliche Schäden an den Wänden und die Gefahr, dass die Decke vom undichten Dach her Wasserschäden bekommen könnte, und Stimmen aus der Bevölkerung veranlassten die Gemeinde zu einer Restauration, die man nach ihrem Abschluss nur vorbildlich heißen kann. Sie dauerte mit Pausen von 2OO2 bis 2OO7. Ortsbaumeister Karl Dehner, in dessen sorgsame Hände die Betreuung der Restauration gelegt war, ließ zuerst wichtige Substanzsicherungen vornehmen, so das Unterfangen der Fundamente gegen Grundwasser, Verspannen der Wände gegen Rissbildung usw. Fast abenteuerlich war die Suche nach gleichen Dachziegeln, nachdem die Ludowici-Manufaktur nicht mehr besteht. Zum Glück entdeckte Michael Mehles die kleine Manufaktur von Thomas Ullrich in Forst bei Bruchsal, die sich darauf verlegt hat, die Ludowici-Ziegel in allen möglichen Formen nachzumachen.
Die Restauration der Malereien, auch Ausbesserungen am Innenputz, des Altars und des Gestühls hatte die Gemeinde in Hände gelegt, die sich schon durch viele andere Restaurationen als feinfühlige Meisterhände erwiesen hatten, nämlich in die von Martin Holzinger aus Pfrondorf bei Tübingen. Dabei musste er geduldig zahlreiche Malereien ablösen, die irgendwann mit Lackfarben auf die ursprünglichen Malereien aufgetragen worden waren, oder bei großflächigen Übermalungen wenigstens den Lack aus den Farben herauslösen. Wie oft sagte er, dass die alten Mauern, die mit Kalkmörtel aufgemauert sind und auch mit Kalkmörtel verputzt gehören, der wiederum keinesfalls mit Lack verschlossen werden darf, atmen können müssen.
Wieder zum Vorschein brachte er so weitere Zierstreifen um den Durchgang zum Chor herum, den man etwas befremdlich Triumphbogen heißt, sowie an den Wänden ein Quadermuster und an den Seitenwänden darüber noch eine bunte Arkadenreihe. Zahlreiche andere handwerkliche Arbeiten mussten nebenher gehen, so der Ersatz ausgebrochener Bossensteine beim Sockel, das Nachscharrieren oder Schleifen der großen schönen Leibungssteine bei der Eingangstür, das Abschlagen des zwischenzeitlich einmal aufgebrachten unsachgemäßen Außenputzes und Aufbringen eines Putzes in der ursprünglichen Art, Außenmalerarbeiten, Dachdeckerarbeiten und damit zusammenhängende Zimmer- und Flaschnerarbeiten, die Auskleidung der Schalllöcher im Turm und eine Neuverkleidung des Turms sowie schließlich innen das Neuverlegen des Fußbodens mit Sand-steinplatten.
Erleichtert wurde die Restauration der Gemeinde durch einen Zuschuss des Denkmalamtes und zahlreiche Spenden, vielen einzelnen aus der Bevölkerung und auch größeren, so von der Volksbankstiftung wegen der Verwendung der Ludowici-Ziegel, der Kapelleninitiative, die drei fast unüberschaubare Tombolen veranstaltete und über die auch eine größere Spende der Familie Rietz ging, sowie der Vereine, eingeschlossen der Ortschafts- und der Kirchengemeinderat, die der Restauration den Dorffestertrag widmeten.